Mein Lieblingsthema,
ist das Leben mit all seinen Facetten. In jungen Jahren wurde es von der Sehnsucht nach Ferne und der Begegnung mit Schmetterlingen im Bauch oder was man dafür hielt bestimmt. Älterwerden hatte noch keine Bedeutung, zumal ich, als Doppelnachzügler in eine Familie hineingeboren wurde, wo alle Erwachsene im Durchschnitt über 40 Jahre alt waren. Kriege, Katastrophen, Wetter und Unwetter, Krankheiten, Abschiede, standen sie durch. Musik und Lust zum Feiern war die Grundstimmung. Politik brachte Unruhe in die Harmonie.
Das Thema Alter kam darin nicht vor.
All das prägte ihr Leben und damit auch meinen Weg. Vieles war mir ein Rätsel. Doch man dreht sich um, ist plötzlich dort wo man einst den anderen zugeschaut, sie pflegte wenn es Notwendig war, immer ein Lied auf den Lippen – bis es leiser wurde.
Und so glitt ich hinein in ein Thema, dass mich nicht loslassen will. Älterwerden mein Lieblingsthema? Warum nicht? Es gibt so viel zu entdecken, an sich selber, bei anderen, in Literatur und Verfilmung; Lieder, Gedichte, Biografien…
Noch immer ist mir das Unverständnis meines damaligen Umfeldes deutlich in Erinnerung. Ich hatte mich nach langjähriger Tätigkeit im Krankenhaus für die Arbeit mit älteren Menschen entschieden.
"Du entwickelst dich fachlich zurück", hieß es von Seiten der Ärzte und Mitschwestern. Ja selbst die ältere Generation meiner Familie, Nachbarn, war entsetzt, weil ich mich Ende 20 freiwillig für die „Alten“ entschied.
Sie riefen: „Was willst du denn bei den Alten?“ Dabei waren sie selber schon auf dem Weg dorthin.
Ich fand nichts dabei, denn die älteren Menschen machten mir keinesfalls Angst. Ich war jung, lebenslustig, von der Schwermut des Älterwerdens unberührt. Noch etwas kannte ich nicht Sätze, die ich voller Staunen, besonders von Quereinsteigern hörte:
„Die alten Leute sind so lieb, so dankbar, so hilfsbedürftig – so allein.“ Nichts von alledem hatte etwas mit dem Alter zu tun.
Diese Eigenschaften traf ich genauso häufig bei jüngeren Patienten im Krankenhaus an. Würden dort Weichen gestellt, gäbs vielleicht weniger Alte, die sich aus Müdigkeit vom Leben freiwillig ins Pflegeheim begeben oder in Verwirrtheit flüchten.
Ein Freund sagte einmal:“Die Flucht aus der Realität ist eine böse Krankheit.“ Hatte er Recht?
Mit 30 las ich „Das Alter“ von Simone de Bouvier.
Entsetzt stellte ich es in die hinterste Reihe meines Bücherregals, ein einziges Jammertal.
Inzwischen ist es nach vorne gerückt, ich bin älter geworden.
Meine Geschichten zeugen vom Wandel einer Gesellschaft, die dem Nutzwert eines Menschen immer mehr Raum gibt. Alter und Krankheit werden zum Experimentierfeld für Forschung, menschliche Ersatzteile bestimmen den Erhaltungswert.
Familienbande werden durch Entfernung legitim überdehnt, zerreißen. Doch auch zu viel Nähe zieht oft dem, der bei dem anderen sein will, den Glanz aus den Augen.
Wenn mir die Worte für das Geschehen um mein auferlegtes Lieblingsthema fehlen verdichte ich sie, schreibe Gedichte für mich. Nur für mich, weil viele sich erst dafür interessieren, wenn sie keine Wahl mehr haben. Dann schreiben sie hoffentlich auch Geschichten, Geschichten aus ihrem Leben, um sie an den Suchenden weiterzugeben. Wir brauchen die Geschichten der anderen, um selber Leben zu können.
Mir hilft es um Älterwerden zu verstehen, einzugreifen wenn den Schwachen und Abhängigen Unrecht geschieht - morgen könnte es uns treffen.
Und während ich schreibe denke ich: Ja es ist zu meinem Lieblingsthema geworden, dieses das Älterwerden und seine Möglichkeiten, selbst wenn man nicht mehr überall sein kann oder möchte.
Die Reise ins Innere lässt Weiten entdecken, die wie Inseln der Hoffnung auftauchen können.
© Margarete Noack 2017
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