Facelifting im Einkaufscenter
Nach anstrengenden Stunden flüchte ich oft in den Buchladen in unserem Einkaufscenter, stöbere, öffne mich für andere Welten.
Entspannt setze ich mich in der Einkaufspassage auf eine Bank, ziehe das neue Buch aus der Tasche und blätterte darin.
Um mich herum Geschäftigkeit, eilende, schwatzende, kauende, nachdenkliche und lachende Menschen. Hier und dort stürmt einer, manchmal Gruppen auf die noch freien Bänke oder verschwindet in lockende Geschäfte. Ich atme tief durch, beginne mich zu spüren, lege das Buch auf die Tasche, einfach nur herumsitzen, beobachten, weder Gesten, Blicke noch Worte deuten müssen, um helfend einzugreifen. Einfach nur Dasein dürfen.
Eine alte Frau schleppt sich heran.
Pralle Einkaufsbeutel, in der einen, den Stock in der anderen Hand, so tappt sie schweren Schrittes auf mich zu. Ausgerechnet zu mir, bitte nicht, nicht die Alte, die sich mühsam heran schiebt. Nicht wieder die Geschichte vom Leid und Last des Älterwerdens.
Da bebt schon die Bank.
Die Frau sitzt! Ich starre in mein Buch.
Schon nach wenigen Minuten der Erholung wendet sie sich mir zu. Helle wache Augen unter kurzem, rötlich schimmerndem Haar, etwas Wangenrouge, strahlen mich an. Lächelnd schaut sie auf das Buch: Ist das nicht schön hier? Richtig was für alte Leute. Man ist nie wirklich allein.
Neulich, redet sie bedenkenlos weiter, saß ein junger Mann, dort auf ihrem Platz. Ich sitze oft hier, fügte sie schnell hinzu, als sie bemerkte, dass ich das Buch zurück legte. Hier müssen alle vorbei, fast alle, schmunzelte sie. Nein, was für ein reizender junger Mann. Wir haben viel gelacht! Sie schlug sich mit der freien Hand leicht auf den Schenkel. Dabei beugte sie sich leise kichernd vor.
Erstaunt bemerke ich eine Veränderung in ihrem Gesicht.
Sie war Journalistin
und mußte aus spargründen ihren Platz räumen. Ihr Alter machte es den Verantwortlichen leichter. Doch die Rente war knapp.
Aber, so erzählte sie weiter, das machte mir nicht viel aus. Ich dachte, jetzt mußt du mal schauen was noch in dir steckt. Zum Schreiben hatte ich keine Lust mehr. Dabei fiel mir ein, früher wollte ich Medizin studieren.
Sie hob den Kopf, schaute verschmitzt in die Ferne: Hat nicht ganz gereicht. Da haben sie mir Journalismus angeboten. Ist ja auch mit Menschen, lachte sie fröhlich.
Nach meiner Kündigung war ich also wieder frei. Sie atmete tief durch, lächelte vor sich hin.
Da kann man doch noch was draus machen, habe ich gedacht. Also las ich Anzeigen. Dabei fiel mir auf, dass Pflegeeinrichtungen Hilfe suchten. Ich meldete mich telefonisch auf eine Anzeige. Der Heimleiter war zurückhaltend. Ich dachte, erzähl ihm einfach deine Geschichte. Er wurde neugierig, lud mich ein.
Nun arbeite ich bereits im siebenten Jahr dort, jedes Wochenende für vier bis fünf Stunden am Tag. Sie lächelte zufrieden.
Hoppla!, ruft sie vergnügt
und greift nach ihrem Stock. Er war ihr, während des Erzählens, entglitten. Das ist ganz anders, wenn ich zu den Alten sage: Hör mal zu, komm reiss dich mal ein bißchen zusammen. Schließlich zeige ich ihnen ja, wie es trotzdem geht. Dann lachen wir miteinander und sie werden mutiger. Naja, Aufgaben brauchen wir eben alle, irgendwie. Ans Schreiben denke ich lange nicht mehr.
Aber, fügt sie nach einer Pause hinzu, Ende des Jahres ist erst einmal Schluß. Ich gehe ins Krankenhaus und lasse mir die Knie operieren. Warn doch früher nicht so störrisch.
Leicht tippt sie mit dem Stock an die Knie, so, als wolle sie diese ermahnen, sich zu erinnern.
Und dann mache ich mir eine Freude. Ich werde mich für die Strapazen im Krankenhaus belohnen. Ist ja nicht ganz einfach mit siebzig noch unters Messer. Ich werde mir einen Hosenanzug schenken und eine Dreisterne Schiffsreise machen. Dafür wird gespart.
Wissen sie, ich habe mir gedacht auf der Schiffsreise ist mein Bett immer bei mir und wenn die anderen von Bord gehen und es mir mal nicht so gut geht, bleibe ich einfach auf dem Schiff. Dabei leuchtet ihre blauen Augen unter dem Rothaarkurzponni, so als stände sie bereits an der Reling, umgeben vom Meer, das sich in ihnen spiegelte.
Dann greift sie nach ihren Taschen.
Mir schien es plötzlich, als wäre sie um Jahre jünger geworden.
Verlegen blickte ich zu Boden als sie sich zu mir wendet: Bitte entschuldigen sie, dass ich soviel erzählt habe. Sie haben so geduldig zugehört. Ihr Lächeln liess die einmal junge, schöne Frau durchscheinen und gab Ihrem Gesicht eine besondere Ausstrahlung.
Das berührte mich. Ich schob die Verlegenheit weg. Vergessend das Schreiben für sie nun kein Thema mehr war, rief ich: Und das alles sollten sie aufschreiben. Ja, genau, immer dann, wenn sie auf ihrem Schiff bleiben, während die anderen
von Bord gehen, um neue Eindrücke zu sammeln.
Sie stutzte: Meinen sie wirklich? Unsicher schaute sie mich an. Doch in ihren Augen blitzte es, so, als hätte sich soeben ein Fenster geöffnet.
Ja, antwortete ich überzeugt.
Längst hatte ich vergessen, dass ich meine Ruhe haben wollte.
Mit einem warmen Händedruck verabschiedeten wir uns. Und es schien mir als wären unsere Schritte leichter geworden.
© Margarethe Noah
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