2018 hatte die Bundesregierung die doppelten Haltelinien fürs Rentensystem eingeführt: Das Rentenniveau darf 48 Prozent bis zum Jahr 2025 nicht unterschreiten (heute 48,2 Prozent), der Beitragssatz darf im selben Zeitraum 20 Prozent nicht übersteigen (heute 18,6 Prozent). Im Zuge dieser Novellierung setzte das Arbeitsministerium BMAS von Öffentlichkeit und offenbar auch vielen Fachleuten unbemerkt den so genannten Nachholfaktor aus, den sein Parteigenosse Olaf Scholz als Sozialminister im Jahr 2009 eingeführt hatte.
Ursprünglich sollten Renten nach Krisenzeiten geringer steigen
Er diente als Korrektiv für die damals ebenfalls eingeführte Rentengarantie, die wiederum sicherstellt, dass Ruhestandsbezüge bei sinkenden Löhnen nicht gekürzt werden können. Die Idee des Nachhaltigkeitsfaktors: Wenn nach einer Talfahrt die Wirtschaft wieder anspringt und die Löhne steigen, sollen die Renten nicht entsprechend der Rentenanpassungsformel erhöht werden, sondern nur maximal halb so hoch – als Ausgleich dafür, dass die Bezüge zuvor nicht gekürzt wurden. Am Ende sollen die Beträge ausgeglichen sein.
Ökonomen bemängeln fehlende Generationengerechtigkeit
Die Ökonomen Bert Rürup und Axel Börsch-Supan warfen Heil nun vor, dass er diesen Eingriff zu Lasten der Beitragszahler vorgenommen habe, ohne die Öffentlichkeit zu informieren. Börsch-Supan sagte im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung", "aus Generationengerechtigkeit" ergebe die Rentengarantie nur Sinn, wenn man auch einen Nachholfaktor habe. So aber werde "die Balance zwischen den Jungen und den Alten außer Kraft gesetzt".
Keine nachträgliche Verrechnung vorgesehen
Wie eine BMAS-Sprecherin der Zeitung erläuterte, wurde der Nachholfaktor bis 2025 ausgesetzt, damit die Haltelinie für das Rentenniveau "nicht nachträglich durch eine Verrechnung in Frage gestellt" werde. Entsprechend sei es auch im Gesetz begründet worden. Auch nach 2025 darf demnach ein bis dahin möglicherweise aufgelaufener "Nachholbedarf" die Renten nicht schmälern. Man habe die Rentenanpassung "nicht über die Maße verkomplizieren" wollen. Zudem sei 2018 nicht zu erwarten gewesen, dass es bis 2025 "zu einer so tiefgreifenden Wirtschaftskrise" komme.
Nachdem der FDP-Politiker Johannes Vogel Kanzlerin Angela Merkel in der Regierungsbefragung am Mittwoch darauf ansprach, sagte sie eine Prüfung zu.
Krise trifft vor allem Arbeitnehmer
Börsch-Supan hat mehrere Krisenszenarien durchgerechnet. Sein Fazit: Die Corona-Pandemie wird "deutliche Spuren in der gesetzlichen Rentenversicherung hinterlassen". Die Effekte seien dabei "stark asymmetrisch - zugunsten der Rentenempfänger". Getroffen werde von der Krise vor allem die "Erwerbsbevölkerung", weil die Nettolöhne sinken – auch weil die Rentenversicherungsbeiträge steigen werden. Mit Nachholfaktor wäre dieser Effekt laut Börsch-Supan ausgeglichen worden.
Bis 2025 sind die Rentenbeiträge bei 20 Prozent gedeckelt, Beträge darüber hinaus muss der Staat aufbringen. Die liegen nach Schätzungen des Ökonomen anfänglich bei 3,3 und danach bei 10 Milliarden pro Jahr - zusätzlich.
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