Die Medizin ist dringend auf neue Antibiotika angewiesen, da die vorhandenen Stoffe häufig nichts mehr gegen lebensbedrohliche Bakterien ausrichten können und daher zunehmend wirkungslos werden.
Bakterien entwickeln Antibiotika-Resistenzen
Das liegt daran, dass Bakterien immer öfter Abwehreigenschaften gegen die eingesetzten Antibiotika entwickeln. Das sind die so genannten Resistenzen.
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Die Folge: Hunderttausende Menschen sterben jedes Jahr weltweit an Infektionen, gegen die Antibiotika nicht mehr helfen.
Entwicklung neuer Antibiotika enorm wichtig
Um weiterhin gegen Krankheitserreger gewappnet zu sein, müssen neue Antibiotika entwickelt werden.
Doch die Suche nach Bakterien für die Entwicklung von neuen Antibiotika ähnelt der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen: So kommen weniger als ein Prozent der bekannten Bakterienarten dafür bislang in Frage.
Der Rest gilt als „unkultivierbar“ und ist bisher kaum erforscht.
Potenzielles Antibiotika-Material aus dem Meer
Jetzt ist es Wissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität in Jena gelungen, mehrere Dutzend Bakterien zu kultivieren, die für die Entwicklung von Antibiotika geeignet sein könnten. Die aber von der Forschung bisher kaum beachtet worden sind.
Entdeckt haben die Forscher die Bakterien: im Meer.
Nicht rein zufällig: Die Wissenschaftler hatten ganz bestimmte Bakterien, so genannte Planctomyceten, als mögliche Kandidaten für die Entwicklung von neuen Antibiotika ins Visier genommen - mit Tauchern an zehn Orten in den Weltmeeren danach gesucht und tatsächlich auch Planctomyceten gefunden.
Planctomyceten könnten neue Antibiotika produzieren
Erste Untersuchen geben den Wissenschaftler nun Grund zu der Hoffnung, dass sie auf dem richtigen Weg sind: „Die Ergebnisse dieser Analysen belegen, dass die neu gewonnenen Planctomyceten über das Potenzial verfügen, neue Antibiotika produzieren zu können“, sagt Dr. Sandra Wiegand, Erstautorin der Studie, die jetzt im Fachmagazin "Nature Microbiology“ veröffentlicht worden ist.
Dazu muss man wissen: Fast Dreiviertel aller relevanten Antibiotika werden von Bakterien produziert, sind also Naturstoffe.
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Dass die Forscher im Meer nach möglichem Antibiotika-Material gesucht haben, hat einen Grund: Nicht alle Bakterien haben die Fähigkeit, Antibiotika zu produzieren, erklärt der Mikrobiologie-Professor Christian Jogler von der Universität Jena: „Sie ist vor allem in Mikroorganismen mit komplexen Lebensweisen zu finden, einer ungewöhnlichen Zellbiologie und großen Genomen.“
Im Video:
Gefährliche Superkeime: 33.000 Todesfälle in Europa - Antibiotika wirken nicht
Die Organismen produzieren demnach antibiotische Verbindungen und „setzen sie im Kampf um Nährstoffe und Lebensräume gegen andere Bakterien ein“, so der Mikrobiologe.
Genau jene Orte, wo Nährstoffe knapp sind und es daher zu solchen mikrobiologischen Verteilungskämpfen komme, seien aussichtsreich, um nach potenziellen Antibiotikaproduzenten zu suchen. Das Meer ist ein solcher Ort.
Darum sind die Bakterien für Forscher so interessant
„Wir wissen, dass Planctomyceten in Gemeinschaften mit anderen Mikroorganismen leben, und mit diesen um Lebensraum und Nährstoffe konkurrieren“, erklärt Jogler den Grund, der diese Gruppe von Bakterien für die Forscher interessant macht.
Mithilfe von Tauchrobotern und wissenschaftlichen Tauchern haben die Jenaer Forscher verschiedene Proben aus Mittelmeer, Nord- und Ostsee, dem Schwarzen Meer, Atlantik, Pazifik und dem Nordpolarmeer zutage gebracht.
Es ist ihnen gelungen, daraus insgesamt 79 neue Planctomyceten in Reinkultur zu bringen und für ein Wirkstoff-Screening zu nutzen.
Vor allem aber belege die Studie eindrücklich, so Jogler, dass auch vermeintlich „unkultivierbare“ Bakterien in Reinkultur gewonnen und charakterisiert werden können.
Resistente Keime als globales Gesundheitsproblem
Viele Aspekte ihrer aktuellen Arbeit, so die Autoren der Studie, werden sich auf andere potenzielle Antibiotikaproduzenten übertragen lassen.
Der Handlungsbedarf ist groß: Resistente Keime gelten als eines der größten globalen Gesundheitsprobleme. Wenn nicht bald gehandelt und neue Antibiotika entwickelt werden, warnen die Vereinten Nationen, könnte die Zahl der Todesopfer in den kommenden Jahren in die Millionen gehen.
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