Das so genannte duale System der deutschen Krankenversicherung - mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf der einen und der privaten Krankenversicherung (PKV) auf der anderen Seite - führe dazu, dass "sich Gutverdiener, Beamte und Selbstständige dem Solidarausgleich entziehen können" - dadurch dass der durchschnittliche GKV-Versicherte jedes Jahr mehr als nötig zahle, heißt es in der Studie. Darin wird die Abschaffung des dualen Systems gefordert.
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"Das ist der Preis dafür, dass sich Deutschland als einziges Land in Europa ein duales Krankenversicherungssystem leistet", sagt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung.
Das Missverhältnis werde zudem dadurch verschärft, dass zuletzt wieder mehr Versicherte von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung gewechselt seien, als umgekehrt, so Etgeton.
Die Studie hat das Berliner IGES Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt. Dabei wurde simuliert, wie sich die Einnahmen und die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung entwickeln würden, wenn alle bisher privat Versicherten in die GKV einbezogen werden - und sich damit am Solidarausgleich beteiligen würden.
145 Euro Ersparnis im Jahr
Für die gesetzlich Versicherten hätte dies den Forschern zufolge einen finanziellen Vorteil: Jedes Mitglied und sein Arbeitgeber könnten demnach zusammen pro Jahr im Schnitt 145 Euro an Krankenkassenbeiträgen sparen.
Würde die private Krankenversicherung wegfallen, hätte dies einen Honorarverlust bei Ärzten zur Folge. Würde dieser Verlust ausgeglichen, läge die Beitragsersparnis für gesetzlich Versicherte und deren Arbeitgeber bei insgesamt 48 Euro jährlich.
Privat Versicherte verdienen mehr und sind gesünder
Grund für die dann sinkenden Beiträge für gesetzlich Versicherte ist den Wissenschaftlern zufolge das "günstigere Risikoprofil" der Privatversicherten. Zum einen verdienen diese im Schnitt 56 Prozent mehr als der durchschnittliche gesetzlich Versicherte. Bedeutet: Würden die Besserverdienenden in die GKV integriert, hätte dies ein höheres Beitragsaufkommen zur Folge.
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Positiv auswirken würde zudem, dass privat Versicherte im Schnitt gesünder sind. Die Bertelsmann Studie bezieht sich auf eine Statistik, der zufolge der Anteil privat Versicherter mit mindestens einem Krankenhausaufenthalt pro Jahr bei 17 Prozent liegt - während dies bei GKV-Versicherten bei 23 Prozent der Fall ist.
"Menschen mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen oder Pflegebedürftigkeit finden sich unter gesetzlich Versicherten wesentlich häufiger als bei Privatversicherten", heißt es vonseiten der Bertelsmann Stiftung.
Dagegen setze der Solidarausgleich in der Sozialversicherung darauf, die Risiken und die Leistungsfähigkeit der Krankenversicherung möglichst breit zu mischen.
Zweiteilung "schwächt sozialen Zusammenhalt"
"Nur wenn sich alle Versicherten unabhängig vom Einkommen zusammentun, um die Risiken zwischen Gesunden und Kranken auszugleichen, kann eine tragfähige Solidargemeinschaft entstehen", sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Die Aufspaltung der Krankenversicherung in einen gesetzlichen und einen privaten Zweig schwäche dagegen "den sozialen Zusammenhalt", so Mohn.
Die Mehrheit der Deutsche befürworte Umfragen zufolge eine Krankenversicherung für alle - statt der Aufspaltung nach Einkommens- und Berufsgruppen, so die Stiftung.
"Griff in ideologische Mottenkiste"
Ablehnung dagegen kommt von der Bundesärztekammer. Die Studie sei "ein Griff in die ideologische Mottenkiste", sagt Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Es widerspreche dem jüngsten Gutachten der Wissenschaftlichen Kommission für ein modernes Vergütungssystem der Bundesregierung (KOMV).
Das Gutachten hatte sich demnach gegen eine Vereinheitlichung der Systeme und für Reformen bei GKV und PKV ausgesprochen.
Die Entlastung der gesetzlich Versicherten um 145 Euro pro Jahr bezeichnet die Bundesärztekammer als "zweifelhafte Zahlenspielereien".
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Es sei rechtlich nicht möglich, alle neun Millionen Privatversicherten in die GKV zu überführen. Schließlich hätten Privatversicherte über viele Jahre Altersrückstellungen aufgebaut, was die Studie nicht thematisiere.
Ärzte: Negative Folgen eines Einheitssystems
Einheitssysteme führten zu "Rationierung, Wartezeiten und Begrenzungen in den Leistungskatalogen", argumentiert die Bundesärztekammer. Dies zeige demnach etwa der Blick in die Niederlande oder nach Großbritannien, wo es keine Zweiteilung des Krankenkassensystems gibt wie in Deutschland.
Zudem profitierten von dem "hohen Leistungsversprechen" der privaten Krankenversicherungen auch die gesetzlich Versicherten, indem dadurch die "rasche Übernahme des medizinischen Fortschritts für alle Patienten ermöglicht" werde.
"In der Einheitsversicherung hingegen, sichern sich diejenigen, die es sich leisten können, einen exklusiven Zugang zur Spitzenmedizin als Selbstzahler oder durch teure Zusatzversicherungen", so Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt.
Die Einheitsversicherung sei ein "Wegbereiter für eine echte Zwei-Klassenmedizin in Deutschland".
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