"Schon heute spüren viele Menschen sozialen Druck, aus dem Leben zu scheiden. Und dieses Gefühl wird steigen", sagte DHPV-Chef Winfried Hardinghaus der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Der Arzt verwies auf eine neue Studie aus den Niederlanden, in der 40 Prozent der Suizidalen das Motiv genannt hätten, niemandem zur Last fallen zu wollen.
"Das Gefühl ist für sehr viele Betroffene ganz stark und ganz gefährlich. Junge Angehörige setzen ältere Familienmitglieder unter Druck. Die Älteren sind oft von sich aus bereit, in den Tod zu gehen. Statt dieser Gefahr entgegenzuwirken, hat Karlsruhe das Risiko noch verstärkt", so Hardinghaus.
Bundesverfassungsgericht: Es gibt Recht auf selbstbestimmtes Sterben
Es sei bedenklich, dass künftig mit Suizidbeihilfe Geld verdient werden könne, sagte Hardinghaus, der als Sachverständiger an dem Prozess in Karlsruhe beteiligt war. Laut Bundesverfassungsgericht gibt es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Mit dem am Mittwoch verkündeten Urteil wurde auch das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Das 2015 eingeführte Verbot verstößt nach Auffassung der Richter gegen das Grundgesetz.
Kritik an Karlsruher Richter
"Das Gericht hat Selbstbestimmung über alles gestellt und gesellschaftspolitische, religiöse oder andere Gesichtspunkte völlig außer Acht gelassen", so Hardinghaus. Jetzt bestehe die große Gefahr, dass die Liberalisierung zu Missbrauch führe.
Auch diejenigen, die grünes Licht für aktive Sterbehilfe forderten, würden durch den Urteilsspruch ermutigt, sagte der Palliativmediziner. "Die Gefahr für einen solchen Dammbruch ist durch das Urteil enorm gestiegen. Das wäre eine fatale Entwicklung und muss gestoppt werden."
Bundesregierung am Zug
Nach dem Urteil der obersten Richter ist jetzt die Bundesregierung in der Pflicht, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen, das dem Richterspruch standhält. Aus dem am Mittwoch veröffentlichten Urteil folge nicht, dass es dem Gesetzgeber untersagt sei, "die Suizidhilfe zu regulieren", so die Karlsruher Richter.
Es müsse aber sichergestellt sein, dass "dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt".
Hardinghaus mit klaren Forderungen
Den Gesetzgeber forderte Hardinghaus in diesem Verfahren auf, Schutzvorkehrungen zu ermöglichen, um Sterbehilfe-Missbrauch zu verhindern. Es brauche Beratungsverfahren mit klaren Kriterien. Dazu gehöre eine vollumfängliche Informierung über Alternativen"für Suizidenten. In der Palliativmedizin gebe es schon die Möglichkeit, jeden Menschen schmerzfrei zu machen und ein Sterben in Würde zu garantieren. "Deswegen ist Suizidbeihilfe nicht notwendig", erklärte er.
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