3000 Menschen sollen ab Sonntag in der bayerischen Landeshauptstadt auf Antikörper gegen Sars-CoV-2 getestet werden, wie Michael Hölscher, Direktor des Tropeninstituts der Uniklinik, am Freitag auf einer Pressekonferenz mit dem bayerischen Ministerpräsident Markus Söder bekanntgab. Erste Ergebnisse soll es schon nach wenigen Tagen geben, kündigte Söder an. Die Studie namens Covid-19-Kohorte sei allerdings auf ein Jahr angesetzt, um Erkenntnisse über die langfristige Entwicklung zu gewinnen.
Ziel ist es herauszufinden, wie weit verbreitet Covid-19 tatsächlich in der Bevölkerung ist und wie ergriffene Maßnahmen wirken.
Keine Gesamtbild zur Infizierung der Bevölkerung
Bislang gibt es zwar Fallzahlen zu Infektionen. Diese zeigen aber nur, wie viele Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden sind. Belastbare Daten, wie hoch die Infektionsrate in der Bevölkerung tatsächlich ist, gibt es nicht, eine Dunkelziffer kann nur geschätzt werden. Das erschwert, Entscheidungen zur Steuerung der Infektion zu treffen.
Viele Positiv-Getestete ohne Symptome
Bei den täglich rund 100 Corona-Testungen im Tropeninstitut werde festgestellt, "dass eine nicht unerhebliche Zahl an infizierten Menschen über den gesamten Verlauf ihrer Infektion überhaupt gar keine Symptome haben", erläuterte Hölscher. Insofern sei auch mit einer nicht unerheblichen Anzahl unentdeckter Infektionen zu rechnen, die Schätzungen lägen zwischen 1 und 10 Prozent der Bevölkerung.
Auf Basis derart vager Daten lasse sich nicht kalkulieren, wie lange es beispielsweise dauert, bis eine 60- bis 70-prozentige Infektionsrate erreicht ist, die nötig sei, um die Verbreitung des Virus‘ auch ohne Impfstoff zu stoppen.
Das soll die neue Antikörper-Studie ändern. Antikörper entstehen, wenn sich der Körper gegen eingedrungene Erreger wehrt. Anhand ihres Nachweises lässt sich nachvollziehen, ob sich jemand - in diesem Fall mit Sars-CoV-2 - infiziert hat, auch ohne Symptome.
Aus der Erhebung sollen sich aber auch Erkenntnisse ableiten lassen dafür, ob beispielsweise Maßnahmen gelockert werden können, für den Bedarf an Krankenhausbetten und Beatmungsgeräten, über die Verbreitungsgeschwindigkeit zum Beispiel innerhalb von Familien und ähnliches.
So verläuft die Studie
Konkret werden stichprobenartig und repräsentativ 3000 Münchner ermittelt, mit Informationen zur Studie versorgt und schließlich um eine Blutprobe (3 Milliliter, entspricht etwa einem Teelöffel) für den Antikörpertest gebeten. Zudem werden medizinische Daten per elektronischen Fragebogen erhoben. Das Ganze wird alle drei Wochen wiederholt. Dadurch könne erstmals die Dynamik des Infektionsgeschehens beobachtet werden, stellvertretend für die Gesamtbevölkerung, erläutert Hölscher.
Polizisten als Echtheits-Garantie
Begleitet wird das medizinische Personal, das zu den Bürgern nach Hause kommt, übrigens zunächst von Polizisten, damit die angefragten Münchner sicher gehen können, dass keine Betrüger vor ihrer Tür stehen – nicht nur zu Corona-Zeiten versuchen Gauner mit allerlei Tricks, sich Zugang zu Wohnungen zu verschaffen.
Warum München? Die bayerische Landeshauptstadt ist mit gut 3000 Corona-Infizierten vergleichsweise stark betroffen und eignet sich laut Hölscher als Test-Region, da es viele unabhängige Infektionsherde gebe – wie es in vielen Städten und Landstrichen Deutschlands der Fall sei. Anders in Tirschenreuth oder Heinsberg (dort gibt es eine ähnliche Studie im kleineren Umfang), wo sich das Sars-CoV-2 maßgeblich über ein großes Event – Karneval, Starkbierfest – verbreitet hat.
Hölscher räumte ein, dass die derzeit erhältlichen Antikörper-Tests für das Coronavirus noch verbesserungswürdig seien. Deshalb würden alle Proben aufgehoben und nochmals untersucht, wenn es bessere Tests gebe.
Erstes Steuerungsinstrument
Dessen ungeachtet liefern nach seiner Überzeugung die bald erzielten Ergebnisse Bayern ein erstes Steuerungsinstrument, die Wirksamkeit von Maßnahmen und Entwicklung der Epidemie werde sichtbar.
Langfristig sei wichtig, dass deutschland- und weltweit ähnliche Studien durchgeführt würden, so Hölscher. Bereits jetzt stehe man im Austausch mit nationalen und internationalen Wissenschaftlern und Instituten.
Bayern gründet Expertenrat
Bayern kündigte zudem an, einen interdisziplinären Expertenrat mit Mikrobiologen, Virologen und Medizinern zu gründen, der fortan die Landesregierung beraten wird.
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