Neulich hat eine Zeitung ihrem Chef eine komplette Seite spendiert: Nur, damit der sich von Büchern verabschieden konnte, für die er in seiner neuen Wohnung keinen Platz mehr hat - und als ob das Namedropping von Autoren und das Kokettieren mit der eigenen Belesenheit die Sache irgendwie erleichtern würden.
Heul’ doch, dachte ich mir.
In meiner Vorstellung sah ich den Mann auf die Knie gehen und die Bücher um Verzeihung bitten, die er reihenweise, hintereinander im Regal hatte darben lassen, wie er schrieb.
Ich fragte mich, ob er die in der zweiten Reihe überhaupt je gelesen hatte. Oder ob die in der ersten Reihe einfach nur mehr Glanz abstrahlten und auf diese Weise ihren Besitzer in noch hellerem Licht erscheinen ließen.
Am liebsten aber hätte ich den Mann sofort auf Exerzitien zu Marie Kondo geschickt.
Dass mir überhaupt so etwas in den Sinn kommt wie dass man vor Büchern auch auf die Knie gehen kann statt ständig nur möglichst kultiviert darüber zu reden, habe ich nicht von ihr. Aber ich sag’ mal so: Es könnte von ihr sein.
Maria Kondo sagt "Danke"
Marie Kondo bedankt sich nämlich, im Fall der Fälle, auch schon mal bei ihren Socken, bevor sie sie entsorgt - dafür, dass sie tagein, tagaus ihren Dienst getan haben.
Die 35-jährige, aus Tokio stammende Bestsellerautorin ("Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert") ist eine interessante Frau, mit einer schillernden Persönlichkeit.
Es gibt sie als Lifestyle-Phänomen mit Millionen Followern auf der ganzen Welt. Als Hauptdarstellerin ihrer eigenen Netflix-Serie. Dass fränkische Hausfrauen im Zusammenhang mit ihrem "KonMari"-Ritual von "Ausmisten" reden, halte ich für ein grobes, typisch deutsches Missverständnis.
Ich für meine Person glaube, dass es Kondo mehr darum geht, eine Haltung zu den Dingen zu entwickeln, mit denen wir uns umgeben. Da bin ich ganz bei ihr - und ich sag’ auch gleich dazu, dass es mir komplett egal ist, dass sie jetzt online Dinge verkauft, die "Freude machen" sollen.
Ich brauch’ keinen Shiatsu-Stick und keinen Unterteller für glimmendes Holz. Auch nicht von ihr. Aber ihre Philosophie als solche wird mir immer sympathischer.
Ich denke oft an Marie Kondo.
Zum Beispiel, wenn ich meinen Freund J. besuche und das Parkett im Wohnzimmer ist wieder mal komplett mit ausrangierten Handys ausgelegt, so dass ich keinen Fuß mehr vor den anderen setzen kann. Früher wäre ich in so einer Situation wieder gegangen.Vielleicht hätte ich J. auch für einen Messie gehalten.
Heute weiß ich: Er hat diesen Deal mit den Jungs vom Recyclinghof. Ab und zu nimmt er was mit, was noch funktioniert, seinem Besitzer aber nicht mehr fashionable genug war. Danach speist er es über ebay und Co. wieder in den Konsumkreislauf ein. Schöne Idee! Kapitalismuskritik pur. Auf spielerische Art. Aber auch voller Respekt vor den Dingen - vielleicht ist das der Grund, warum sich das Wohnzimmer meines Freundes für mich oft anfühlt wie das Innere einer Kathedrale.
Wenn Sie auch ein bisschen kondo sind, wissen Sie, was ich meine.
Aber möglicherweise finden Sie den Kondo-Hype ja auch nur total plem plem.
Falls nicht: Bleiben Sie dran! Ich ziehe nämlich gerade um und die neuen Verhältnisse sind so, dass ich meine uralte Lieblingsidee vom Leben im White Cube wieder hervorgekramt habe, mit möglichst wenig drin.
Mein Gefühl war schon lang, dass man in der Welt der Dinge, so schön sie sind, auch verloren gehen oder sich selbst abhanden kommen kann. Deshalb buddele ich mich jetzt wieder raus. Und mit Marie Kondo bin ich noch lang nicht durch!
Hermann Weiß ist freier Autor. Er hat (u.a.) für die "Abendzeitung" geschrieben, war Kulturredakteur im Münchner "Welt"-Büro. In "Mittlere Reife", seiner wöchentlichen Kolumne auf wize.life, nimmt er sich Alltags- und Zeitgeistphänomene vor und macht sich darauf seinen ganz persönlichen Reim.
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