Letzte Woche war ich mal wieder in einem Reisebüro.
Ich meine: Keine Ahnung, wie Sie das machen, wenn Sie von A nach B wollen. Ob Sie das, was man dafür braucht, eine App erledigen lassen oder was es sonst an coolen Tools noch gibt.
In meinem Fall war’s so, dass mir die Schlange der Wartenden vor dem Ticketschalter im Bahnhof zu lang erschien. Ich konnte die bad vibrations richtig spüren. Und weil ich wusste, dass das Reisebüro nicht nur Flug-, sondern auch Bahntickets verkauft und dass sich dort von altmodischen Servicegedanken beseelte Menschen gern um Leute wie mich kümmern, ging ich hin.
Lagerfeuer-Romantik im Reisebüro
Es war schön, zu erleben, wie die junge Reiseverkehrskauffrau und ich gleich einen Draht zueinander fanden. Ich beglückwünschte mich innerlich, dass ich am Bahnhof kehrt gemacht hatte und stattdessen nun dieser Frau zusah, wie sie Verbindungen für mich heraussuchte, mit flinken, kundigen Fingern Befehle in ihren Computer eingab und sich dabei auf eine Art in ihren übergroßen Wollpulli kuschelte als säßen wir nicht im Büro, sondern irgendwo an einem Lagerfeuer.
Wer mich kennt, weiß: Solche Situationen sind immer ein bisschen gefährlich für mich. Ich erzähl dann Sachen, die ich gar nicht erzählen will, kaufe Dinge, an die ich fünf Minuten vorher im Traum nicht dachte.
Aber heute, im Jahr 2020, ist alles noch viel komplizierter - das mit dem Reisen, meine ich.
Schon den Anlass meines Zweitagestrips erwähnte ich nicht. Also, ich hätte schon mit der jungen Frau darüber geredet. Aber die Möglichkeit, dass jemand wie sie, mit Mitte 20, es völlig neben der Spur finden könnte, für das Konzert einer praktisch unbekannten New Yorker Indie-Rockband (plus Anfahrt von 600 km) die große Ressourcenvernichtungsmaschine anzuwerfen, hielt mich ab.
Bahnfahren schadet der Umwelt nicht
Kurz spürte ich so was wie einen kleinen Triumph, dass ich geschafft hatte, diese sehr persönliche Geschichte für mich zu behalten. Auch sonst fühlte ich mich auf der sicheren Seite, denn ich hatte ja nach einem Bahnticket gefragt und mit einem Bahnticket, so die Überlegung, schade ich der Umwelt nicht.
Ja, das habe ich tatsächlich gedacht!
Und ich bin jetzt kein mit allen Mondschein-Quellwassern gewaschener Öko.
Hören Sie, fragte die Frau in dem Moment: "Der ICE, den Sie gern genommen hätten, fährt am Samstag nicht. Also jedenfalls nicht von A nach B. Das heißt: Ohne Umsteigen wird’s nicht gehen. Und umsteigen wollen Sie ja nicht, wenn ich Sie richtig verstanden habe?" Nein, hörte ich mich sagen, umsteigen will ich nicht. Und die Zeiten für die Rückfahrt passen mir eigentlich auch nicht …
Hm, sagte die Frau. Tja, sagte ich.
Es war ein bisschen so, als würden wir nun beide warten, was der/die andere als nächstes tut. Mir war, auch beim Blick auf den Preis fürs Bahnticket, schon länger klar, was ich jetzt gern wissen würde. Und weil die Frau mit dem Rücken zum Logo einer nicht ganz unbekannten Airline saß, war ich überzeugt, dass sie mir gleich die Frage stellen würde, auf die ich wartete. Was sie aber nicht tat.
Schwarzer Peter
Ich dachte, komisch, ich sitze hier in der offiziell gelisteten Agentur einer Airline, die auch innerdeutsch fliegt, und diese junge Frau weiß jetzt, dass ich von A nach B will. Warum sagt sie nicht: "Wenn Sie die Maschine um die und die Zeit von A nehmen, sind Sie eine knappe Stunde später in B?"
Oder: "Der Flug kostet übrigens nur 50 Euro mehr als die Bahn!"
Oder: "Von den Zeiten, die Sie genannt haben, kommen wir da auch viel besser hin!"
Ich musste fragen - und tat das auch, kam mir dabei aber so vor, als hätten die junge Frau und ich mal eben eine Runde Schwarzer Peter gespielt und ich hätte verloren.
Ökobilanz verschlechtert
Ich dachte: Wow! Ist es jetzt schon so weit, dass man im Reisebüro nicht mehr nur mit seiner Kreditkarte, sondern auch mit Minuspunkten für die persönliche Ökobilanz bezahlt? Dass das Reisebüro sagt: Okay, du bist mit diesem oder jenem CO2-Fußabdruck reingekommen und gehst mit einem größeren wieder hinaus, aber unsere Schuld ist das nicht?
Auf den naheliegenden Gedanken, dass die junge Frau vielleicht einfach nur höflich sein und mir nicht von vornherein ihre Flüge ins Knie schrauben wollte, bin ich erst gar nicht gekommen - und das, obwohl ich diese Art Höflichkeit eigentlich sehr schätze, was man vermutlich auch merkt.
Aus ihrer Sicht und eigentlich auch aus meiner hat diese junge Frau also alles richtig gemacht.
Auch das Ticket war schnell gebucht.
Allerdings war meine Freude darüber, na ja, mehr mittelgroß.
Reisen, dachte ich so für mich, ist auch nicht mehr das, was es mal war. Aber aufs Konzert freue ich mich trotzdem! Wenn ich das so sagen darf.
Hier finden Sie die "Mittlere Reife" in der Übersicht.
Hermann Weiß ist freier Autor. Er hat (u.a.) für die "Abendzeitung" geschrieben, war Kulturredakteur im Münchner "Welt"-Büro. In "Mittlere Reife", seiner wöchentlichen Kolumne auf wize.life, nimmt er sich Alltags- und Zeitgeistphänomene vor und macht sich darauf seinen ganz persönlichen Reim.
4 Kommentare