Sorry, wenn's gleich ein bisschen grober wird!
Aber das Abstoßendste in diesen Corona-Tagen waren für mich letzte Woche die Bilder jener Wall Street Broker, denen vor Gier die Gesichtszüge entglitten, als der Dow-Jones-Aktienindex plötzlich durch die Decke ging.
Ich versteh’ die Mechanismen nicht so. Aber Auslöser für die explodierenden Kurse war wohl die Nachricht, dass die US-Regierung die wegen Corona schwächelnde Wirtschaft mit einem Billionen-Dollar-Hilfspaket stützen würde. Großanleger steigerten sich daraufhin in einen Kaufrausch. Und wie immer, wenn der Kapitalismus sich nackig macht, sah das zum Abgewöhnen aus.
An der einen Ecke New Yorks bauten sie auf der Straße Zelte auf, weil sie befürchten, dass die Leichenhallen die vielen (Corona-)Toten bald nicht mehr fassen. Ein paar Kilometer weiter downtown standen sie feixend im Parkett und gaben sich High five.
Ach ja: Auch der deutsche Aktienindex Dax legte zu, auch hier hatte zuvor ein (Not-)Parlament beruhigende Signale an die Märkte gesendet und auch hier wird es einige Wenige gegeben haben, die auf die Schnelle, in Millisekunden, den Super-Schnitt gemacht haben.
Hochgeschwindigkeitshandel endlich besteuern
Nur mal angenommen, dachte ich, wir hätten jetzt die Finanztransaktionssteuer, auf die wir seit der Finanzkrise 2008/2009 warten und die genau auf diesen Hochgeschwindigkeitshandel zielt: Dann müsste der Bundesfinanzminister und Bilanz-Fetischist Olaf Scholz nun nicht gar so viele (heimliche) Tränen über sein Milliarden-Hilfspaket zugunsten Notleidender weinen, das er als Kanzlerinnen-Vertreter letzte Woche mit Gönnermiene durch den Bundestag brachte.
Er könnte sich einen Teil des Geldes von denen wieder holen, die selbst an Krisen wie dieser noch verdienen.
Das fände ich gerecht.
Aber das ist nur einer von vielen Gedanken, die mir gerade so kommen.
Woche zwei im gelockerten Hausarrest
Woche eins des gelockerten Hausarrests in Deutschland liegt hinter uns, Woche zwei hat begonnen und manchmal beunruhigt es mich, was dieser Ausnahmezustand mit mir macht.
Ich denke viel nach und das kann ja eigentlich nicht schaden, sage ich mir. Dann wieder fühlt es sich an wie ein Programm, das irgendwann angesprungen ist und das sich nun nicht mehr abschalten lässt.
Dann denke ich Dinge zusammen, die gar nicht zusammengehören oder vielleicht doch, wer weiß.
Die entfesselten Zocker an den Börsen zum Beispiel - und wie zur selben Zeit Leute aus meinem Bekanntenkreis um ihre Existenz kämpfen müssen.
Kämpfen um die Existenz in Zeiten von Corona
Freiberufler und Solo-Selbstständige vom kleinen Buchhändler bis hin zu Musikern, Autoren und Schauspielern brauchen jetzt Geld, um in der Zeit des Lockdowns, der abgesagten Konzerte, Lesungen, Theateraufführungen über die Runden zu kommen. Aber sie bekommen keins, bevor sie nicht ihren letzten Notgroschen aufgebraucht haben - und das müssen sie dann auch noch in zig Dokumenten belegen.
Das finde ich unwürdig. Da geht nichts "schnell" und "unbürokratisch" wie versprochen. Und schon drehe ich mich weiter im Kreis.
Dürfen bei uns nur Banken gerettet werden? Frage ich mich.
Kunst nicht "systemrelevant"?
Gilt Kunst vielleicht nicht als "systemrelevant", weil es zu ihrem Wesen gehört, dass sie Systeme in Frage stellt?
Und: Wie schnell werden wir wohl vergessen haben, was Krankenhausärzte, Pfleger, Krankenschwestern, Polizisten, die berühmte Kassiererin im Supermarkt gerade leisten? Werden wir sie weiter so mies bezahlen oder wird sich ihre "Systemrelevanz" doch irgendwann in angemessenen Löhnen niederschlagen - und wann, wenn nicht jetzt, wäre dafür die Zeit?
Wer hat eigentlich damit angefangen, unser Gesundheitswesen so kaputt zu sparen wie vorher Hartmut Mehdorn die Bahn?
Und wo steht geschrieben, dass man selbst mit Kernbereichen der Daseinsvorsorge noch Profit und Rendite machen muss?
Wenn ich merke, dass es so mit mir durchgeht, dass ich zwischen Home Office und Hausarbeit auf keinen grünen Zweig komme, schnappe ich mir Mantel, Schal und Mütze: Spazierengehen an der frischen Luft ist in Bayern noch erlaubt.
Draußen genieße ich es. Die Luft soll ja auch besser sein, es sind jedenfalls spürbar weniger Autos unterwegs, überhaupt fällt mir auf: Die vertrauten Routinen sind weg.
Was wird nach der Krise wichtig sein?
Ich fange an, Buch zu führen: Was fehlt mir? Was fehlt mir nicht? Was davon werde ich mir wieder holen, wenn die Dinge sich wieder normalisieren? Was von dem, was ich für wichtig und unverzichtbar gehalten habe, wird dann keine Rolle mehr spielen?
Ja, so ein Tag in erzwungener Isolation geht verdammt schnell rum - und dabei habe ich noch nicht mal Kinder, für die ich kochen und mit denen ich Hausaufgaben machen muss.
Zum Runterkommen spendiere ich mir in diesen Tagen übrigens gern eine Runde "Corona-Tagebuch" mit dem Philosophen Markus Gabriel aus der 3sat-Mediathek. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen überspannt. Aber die Schärfe des Gedankens, die Kritische Theorie, mit deren Hilfe Gabriel unsere diffusen Corona-Ängste rationalisiert, hat etwas Beruhigendes.
Jemand sollte dem Mann eine eigene Sendung geben.
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