Hast du schon mal so einen Himmel gesehen? Hat ein Freund am Telefon mich die Tage gefragt.
Warum? Frag ich zurück. Ist halt blau!
Dabei fällt mir ein, dass der Freund zu denen gehört, die sich schon vor Jahren aus der Stadt aufs Land zurückgezogen haben und dass er seitdem manche Dinge anders erlebt, bewusster vielleicht.
Wer weiß, denk’ ich, womöglich sieht er ja mehr als ich mit meinem immer etwas rastlosen Blick des Städters, wenn er in den Himmel schaut. Deshalb frage ich nach: Also? Kein Kondensstreifen, nirgends, schon seit Tagen! Weil keine Flieger mehr? Genau!
Aber nicht nur die Flieger sind weg, als hätte jemand sie vom Himmel gekratzt. Corona hat auch dafür gesorgt, dass unsere Innenstädte zur Ruhe kommen.
Fenster in die Zukunft
Würden wir hier nicht von einer Pandemie reden und von den damit verbundenen Einschränkungen des öffentlichen Lebens, dann könnte die weitgehende Abwesenheit des Autoverkehrs auch der Fantasie moderner, ökologisch denkender Städteplaner entsprungen sein. Und das würde bedeuten: Es öffnet sich hier, mitten im Lockdown, auch ein Fenster in die Zukunft.
Wir können dieses Fenster jetzt natürlich gleich wieder zuschlagen. Wir könnten uns aber für die Dauer dieser historischen Sekunde auch einlassen auf die Situation, die man wohl einen Break nennen muss, so abrupt, wie Corona über uns gekommen ist, und so radikal, wie das Virus unsere Lebensgewohnheiten in Frage stellt. Und da kann man schon ins Staunen kommen.
Zum Beispiel darüber, wie Skateboarder, Inline-Skater, Radlfahrer, Kinderwagen schiebende Jogger, Fußgänger den öffentlichen Raum gerade zu ihrem Playground machen - vereinzelt, wie es die Umstände verlangen, und zaghaft, als würden sie dem Frieden nicht wirklich trauen.
Menschen, die auf Bänken sitzen
Ich hab’ auf einer Bank, in einer von Straßen umschlossenen Alibi-Grünanlage, einen Mann sitzen sehen, der mit einem aufgeschlagenen Buch auf den Knien völlig fassungslos in Richtung einer Umfriedung schaute, hinter der ein Baum ganz unverschämt blüht, und ich dachte noch: Keine Ahnung, was den gerade mehr fasziniert, das Buch oder dieser verschwenderische, grenzenlose Optimismus des Baums. Das fand ich schön - auch weil ich weiß, dass auf dieser Bank normalerweise kein Mensch sitzt.
In einer Zeitung habe ich ein Interview mit einem Berliner Kreativen gelesen. Er würde vieles ganz neu gestalten wollen, sagt der 51-Jährige an einer Stelle im Gespräch, in Berlin, da würde er zuerst die Autos verbieten und dann die Straßen mit Sand füllen. Da schau her, dachte ich, wir sind nicht allein! Und ich meine damit gar nicht so sehr die konkrete Idee. Was mir gefällt, ist die Radikalität, mit der der Mann sie zur Diskussion stellt, denn genau das ist für mich der Punkt.
"Stunde Null"
In dieser historischen Sekunde - manche sprechen auch von einer "Stunde Null" - können die Thesen meiner Ansicht nach gar nicht steil genug sein, weil nur so die Chance besteht, dass wir uns nach der Rückkehr zur Normalität (wie immer die dann aussieht) noch an sie erinnern.
Wenn es zum Beispiel so kommt, wie man annehmen muss, dass etwa die deutschen Autokonzerne Kapital vom Staat, also von uns allen, brauchen, um die Krise zu überleben - was spricht dann dagegen, dass wir die Vergabe der Gelder an Bedingungen knüpfen?
Ich meine: Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, Arbeitsplätze in einer der deutschen Schlüsselindustrien zu retten. Aber ich habe null Bock darauf, mit meinem Geld die Produktion völlig aus der Zeit gefallener SUV-Monster zu finanzieren.
Tempolimit statt Geschwindigkeitsrekorde
Von einem Konzern wie VW (das Kürzel steht für: Volkswagen) erwarte ich keinen über 200.000 Euro teuren Super-Boliden wie den neuen Porsche 911 Turbo S mit 650 PS, mit dem man "auf einer leeren Autobahn mühelos schneller als 300 km/h fahren kann", weil erstens unsere Autobahnen sowieso nie leer sind und weil wir zweitens zur Rettung unseres Klimas keine Geschwindigkeitsrekorde brauchen, sondern ein Tempolimit.
Ich könnte jetzt noch viel über Autos und Autokonzerne sagen, aber Sie verstehen schon: Es ist nur ein Beispiel, um mal ein bisschen was an Ideen für die Zukunft durch zu deklinieren.
Lufthansa am Boden
Gucken wir stattdessen lieber noch mal in den Himmel - und auf den Boden. Da steht jetzt, am Frankfurter Flughafen, ein Großteil der Flotte der Lufthansa und fliegt nicht mehr.
Jede Stunde (!) verliert der Konzern so nach eigenen Angaben eine Million Euro und man geht auch bei der Lufthansa inzwischen davon aus, dass das Unternehmen die Krise nur mit staatlicher Unterstützung überlebt. Also wieder mit unserem Geld. Ihrem und meinem. Und auch damit habe ich ein Problem und das betrifft nicht nur die Lufthansa. Sondern generell unsere Einstellung zum Fliegen.
Ich meine: So nett das war, dass die Bundesregierung vor Kurzem 200.000 Deutsche, die meisten davon Touristen, aus dem Ausland zurückgeholt hat, weil ihre etatmäßigen Flüge wegen Corona nicht mehr gingen, so sehr hat es mich auch erschreckt.
Mein Gefühl ist: Wir fliegen zu viel und ohne groß nachzudenken und das, obwohl wir wissen, dass wir uns damit die Klimabilanz versauen und die Zukunft des Planeten riskieren.
Sind die 350.000 Passagiere, die die Lufthansa bis vor kurzem täglich (!) beförderte, nicht auch so was wie die 650 PS im Porsche-Boliden? Irgendwie komplett overdone?
Und: Haben Sie sich in diesen Tagen nicht auch gefragt, warum wir zwar Hunderttausende Deutscher in die Welt hinaus und wieder nach Hause fliegen können, es aber partout nicht schaffen, ein paar Dutzend Flüchtlingskinder aus ihrem Elend in den griechischen Camps heraus und hierher zu uns holen?
Ach, ja: Dieses Problem ließe sich übrigens in dieser einen, historischen Sekunde noch lösen …!
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