Macht uns Corona verrückt?
Dass das Virus unseren Alltag verändert, kriegt jede(r) mit - egal, ob man einfach nur allein ist, sich kurzarbeitend langweilt oder zwischen Home Office, Home Schooling und Hausarbeit zerreibt, wie das in vielen Familien gerade der Fall ist.
Und dann noch dieses Psycho-Ding!
Das Virus ist praktisch immer da und geht nicht weg, wenn Sie wie ich zu denen gehören, die fünf, sechs, sieben, acht Mal mal am Tag ihre Newsfeeds auf dem Smartphone checken. Da ist es eigentlich kein Wunder, wenn man irgendwann auf komische Gedanken kommt.
Ich zum Beispiel hab’ jetzt Wochen lang allen Ernstes geglaubt, dass die Politik bei Corona - anders als etwa in der Klimadebatte - vielleicht doch mal auf die Wissenschaft hört.
Brav alle Einschränkungen in der Coronakrise beachtet
Ausgerechnet ich, der normalerweise sofort kräht, wenn er sich in seiner Freiheit eingeschränkt fühlt, hab’ nicht nur brav mitgetragen, was das „Corona-Kabinett“ in Berlin sich in den letzten Wochen an Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens alles einfallen ließ. Stichwort: Ausgangsbeschränkung.
Ich fand’s auch gut, wie Bayerns Markus Söder (CSU) dabei auf Länderebene vorne weg marschierte: vermittelnd im Ton, entschieden in der Sache, der leibhaftige Gegenentwurf zum Unions-Kollegen Armin Laschet (CDU), der von Anfang an nur lavierte und es möglichst allen Recht machen wollte.
Schotten dicht gegen die Pandemie
Lieber kein Wischi-Waschi in dieser bedrohlichen Situation, dachte ich. Lieber die Schotten dicht, Shutdown, Lockdown, Social Distancing, wenn die Virologen und Epidemiologen sagen, dass das notwendig ist, um die Pandemie in den Griff zu kriegen!
Ich fühlte mich wohl mit dem, was getan wurde - also, so weit man sich unter den gegebenen Umständen überhaupt wohlfühlen kann.
Dass im Zusammenhang mit den Einschränkungen sehr früh über Freiheit und Sicherheit geredet wurde - also darüber, wie viel Bewegungs-, Versammlungs-, Demonstrations-, Religionsausübungsfreiheit etc. der Staat dem Einzelnen nehmen darf, um das Leben und die Gesundheit aller zu schützen - nahm ich als Beweis, dass der gesellschaftliche Diskurs bei uns funktioniert.
Vertrauen in den Rechtsstaat
Ansonsten glaube ich erst mal an den Rechtsstaat und das heißt für mich: Ich verlasse mich darauf, dass er auf Reset geht in dem Moment, in dem sich die Lage an der Corona-Front entspannt und Eingriffe in Grundrechte, wie wir sie aktuell erleben, nicht mehr erforderlich und angemessen sind.
Sogar mein Vertrauen in die Politik war zuletzt wieder gewachsen. Ist das nicht verrückt?
Tja.
Ich könnte Ihnen auf Anhieb ein ganzes Potpourri von warnenden Stimmen aus der Wissenschaft zusammenstellen, die alle zu dem Schluss kommen, dass a) die ursprünglich von der Politik beschlossenen Einschränkungen im Kampf gegen Corona richtig waren, weil sie zu rückläufigen Infektionszahlen geführt haben, dass wir b) die Pandemie vollständig in den Griff bekämen, wenn wir bereit wären, diesen Weg „noch wenige Wochen mehr“ zu gehen und dass wir c) durch die jetzigen Lockerungen nicht nur das Erreichte wieder zunichte machen, sondern eine zweite, viel schlimmere Infektionswelle provozieren.
Wer kann so was wollen?
Ich nicht! Und wenn ich’s richtig sehe, auch nicht die überwiegende Mehrheit der Menschen im Land - wenn stimmt, was die Leute in Umfragen sagen.
Trotzdem zappelt sich die Politik nun mit Vollgas in einen Lockerungsirrsinn hinein.
Autohäuser öffnen, Friseurgeschäfte folgen - und was ist mit der Gastronomie?
Ab dieser Woche haben zum Beispiel in Bayern nicht nur die Autohäuser wieder auf. Man kann auch wieder Shoppen gehen, wenn auch nur in kleineren Geschäften. Am 4. Mai öffnen die Friseure. Der Gastronomie hat man Lockerungen für Anfang Juni in Aussicht gestellt, aber schon jetzt gibt’s überall Coffee oder Drinks (!) to go und vor den Eisdielen stehen die Leute Schlange.
Und das ist noch lang nichts alles.
Bald soll man wieder in Fitness-Studios zusammen mit anderen trainieren und schwitzen dürfen und, ja, auch den Sommerurlaub am Wasser oder in den Bergen in Deutschland und Österreich kann man angeblich wieder planen.
Wir tun so, als ob nichts wäre.
Aber wenn sie mich fragen, ist es Zeit, die Grundsatzfrage zu stellen: Gibt es noch eine Ausgangsbeschränkung, ja oder nein? Und, wenn ja: Was bitte ist darunter zu verstehen, wenn ich praktisch alles tun kann, was zu einem „normalen“ Leben gehört - nur halt mit irgendeiner Art Mund-Nasen-Schutz im Gesicht, medizinisch oder selbst gebastelt, was mir nach allem, was man weiß, mindestens so viel schadet wie es mir nutzt?
Ich hab’ mich in den letzten Tagen öfter mal gewundert. Und mein Verdacht ist: Es geht bei dem Politgekasper, das wir momentan erleben, gar nicht mehr so sehr um Ihre oder um meine Gesundheit.
Politiker, ob sie nun Laschet heißen oder Söder, achten wieder weniger aufs Allgemeinwohl als auf ihre Performance und darauf, wie sie bei ihrer Klientel am besten punkten.
Bundesliga-Saison soll zu Ende gespielt werden
Da weint Laschet um die Küchenbauer in NRW und sperrt zusammen mit den Autohäusern auch die Möbelhäuser wieder auf. Und Söder kriegt’s übers Wochen nicht gebacken, seinen Bayern zu verklickern, was jeder halbwegs vernünftige Mensch schon lange wusste: Dass ein Massenbesäufnis mit Millionen enthemmter Menschen auf engstem Raum in feucht-stickigen Bierzelten aktuell halt nicht geht.
Dafür soll nun aber auf jeden Fall die Saison in der Fußball-Bundesliga zu Ende gespielt werden - angeblich, weil so viele Menschen darauf so sehnsüchtig warten.
Auf jeden Fall heißt: ohne Zuschauer und auch dann, wenn man die Spieler dafür wochenlang kasernieren und fortlaufend testen muss und die Teams möglicherweise nur mit Mund-Nasen-Schutz (!) auflaufen können.
Was passiert, wenn sich ein Spieler infiziert, hat man lieber nicht konsequent zu Ende gedacht.
Das meine ich mit Lockerungsirrsinn.
Passen Sie auf sich auf.
Und bleiben Sie gesund!
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